ImpressumDatenschutzBarrierefreiheitHans RichterArchitekt1882—1971

Seiden- und Wirkwarenfabrik Schindler in Schönlinde

Adresse:
Krásná Lípa 998, Kyjovské ulici 79
GPS:
50°55'1.778"N, 14°29'36.910"E
Bauzeit:
1929
Bauherr:
Adolf Schindler und J. F. Palme
Karte PDF

Die Fabrikhalle der Textilfirma Schindler in Krásná Lípa gehört zu den progressivsten Bauten im Werk Hans Richters. Was die Geschichte der modernen Architektur der Zwischenkriegszeit in der Tschechoslowakei angeht, hat sie bislang noch keine angemessene Würdigung erfahren, obwohl sie mit einem so bahnbrechenden Gebäude wie dem Messepalast von 1928 in Prag vergleichbar ist.

Das Baujahr 1930 kann wegen des Mangels an Archivmaterial nur aufgrund des zeitlichen Kontextes geschätzt werden. Eine entscheidende Rolle beim Bau der Fabrik spielte Joseph Franz Palme, der Eigentümer der Textilfabrik Schindler, die 1854 von seinem Schwiegervater Stefan Schindler gegründet worden war. Palme war ein idealer Auftraggeber, der dem Architekten umfangreiche finanzielle Mittel und große künstlerische Freiheit einräumte.

Richter entwarf für ihn eine monumentale funktionalistische Villa und die Fabrikhalle. Beide Bauten verkörpern das radikale Vordringen der Ideale des Internationalen Stils in das konservative, beinahe ländliche Umfeld des nordböhmischen Grenzgebiets. Bis heute sticht der Kontrast ins Auge, der zwischen dem riesigen »Glaskasten«, wie die Halle früher von den Einheimischen genannt wurde, und den daneben winzig erscheinenden Holzhäusern besteht.

Die Idee für die grundlegende Gliederung des Baukörpers hatte Richter bereits Anfang der zwanziger Jahre, wie die Ähnlichkeit zu einem nicht umgesetzten Entwurf für eine Fotofabrik in Dresden verrät. Die klare Quaderform des Hauptgebäudes wird zu den Seiten hin durch die angebauten Treppenhaustürme symmetrisch erweitert. Das vierstöckige Objekt ist selbstverständlich mit einem Flachdach versehen. Am fortschrittlichsten ist die Skelettkonstruktion, die die tragende Funktion der Gebäudehülle vollständig aufhebt, sodass diese durchgängig verglast werden kann, die Ecken eingeschlossen. Gleichzeitig ermöglicht diese Lösung eine große Variabilität der inneren Raumgliederung. Der Innenraum dient nicht nur der Produktion, sondern bietet auch einen weiträumigen Speisesaal für die Mitarbeiter, der noch durch eine Terrasse erweitert wird.

Das Objekt ist erstaunlicherweise nahezu im ursprünglichen Zustand erhalten, einschließlich Fenstern mit Verdunklungsrollos, deren Gliederung in markante Raster die Handschrift des Architekten nicht verhehlen kann. Variiert wird das Motiv durch engere Fensterraster im Erdgeschoss, die gleichzeitig die Funktion eines Gitters erfüllen, und durch eine Reihe kleiner Fenster, durch die Licht in die Treppenhaustürme einfällt. Zum Betriebsgelände gehört auch ein Betontunnel, der die neue Halle mit der etwa 300 Meter entfernten ursprünglichen Fabrik verbindet. Licht erhält er durch analog wie im Erdgeschoss der Halle gestaltete Gitterfenster.

Palme hatte ursprünglich mit einer Aufstockung der Halle um weitere Etagen gerechnet, unzugänglich gemachte Treppen zur Dachfläche bezeugen dies. Die Weltwirtschaftskrise brachte seiner Firma jedoch den Bankrott und die Fabrik wurde 1937 von seinem Warnsdorfer Konkurrenten A. Kunert übernommen. Der Bauherr erhielt sie im Rahmen der »Arisierung« jüdischen Eigentums nach der Besetzung des Grenzgebiets durch die Nationalsozialisten zurück. 1945 wurde das Objekt konfisziert, die Textilproduktion lief jedoch weiter und besteht bis heute.